Studie der Woche - 14: Tiefe Kniebeugen? Machen!

Beim Thema "Tiefe Kniebeugen" gehen vielen Trainer und Sportlern in Deutschland leider immer die Alarmglocken an - leider völlig unnötig und mittlerweile auch unbegründet. Bei normalen, gesunden Kniee und Hüften spricht nichts gegen eine tiefe Kniebeuge - als Stütze dazu der folgende Artikel.

Es war einmal ... die Behauptung, dass tiefe Kniebeugen die Verletzunggefahr im Kniegelenk und der Wirbelsäule erhöhen und die Folge, dass eine tiefe Beugung zu vermeiden sei um Kräfte im Knie zu vermeiden. Wie gesagt, es war einmal ...

Ursprüngliche Messungen und Berechnungen waren dabei teilweise reine biomechanische (und zwangsweise unvollständige) Modelle oder wurden an Kadavern durchgeführt. Dabei und teilweise bei den Folgerungen sind u.a. die folgenden Sachverhalte nicht in Betracht gezogen worden:

a) der Wrapping Effekt, der für eine bessere Kräfteverteilung sorgt, je tiefer die Beuge ist

b) die Vergrößerung der retropatellaren Auflagefläche mit steigender Tiefe und die damit verbundene Verteilung der Kräfte

c) Funktionelle Anpassungen, die während des Trainingprozesses entstehen und somit für eine Verstärkung der belasteten Strukturen sorgen und

d) dass, um einen Trainingsreiz zu erzielen, die Gewichte und damit auch die Kräfte bei einer halben oder viertel (eben nicht tiefen) Kniebeuge entstehen um ein Vielfachs höher sein können.

Hagemann et. al (2013), Experten auf diesem Gebiet, kommen in ihrer Literaturstudie zu dem Schluss, dass nicht nur tiefe Kniebeugen, wenn Technik entsprechend gelernt und Gewichte progressiv gesteigert werden (= vernünftige trainiert wird), eben nicht die Verletzungsgefahr der passiven Strukturen erhöhen, sondern (oder besser: natürlich) eine effektive Trainingsmethode ist, die ebenso vor Verletzungen schützt. Vielmehr treffen die Autoren noch die Aussage, dass entsprechende submaximale Trainingsbelastungen in der halben oder viertel Kniebeuge eben genau diese Schädigungen langfristig im Kniegelenk und Wirbelsäule hervorrufen können. 

Dem (interessierten) Trainingspraktiker sind einige dieser Dinge bereits klar - eine tiefe Kniebeuge mit 50-80 kg zu absolvieren erfordert schon einiges an Kraft. Eine viertel Kniebeuge dagegen erfordert weniger koordinativen Anspruch und nicht selten können hier Gewichte im Bereich von 150-200 kg gestemmt werden - zählt man hier Eins und Eins zusammen, kommt man schnell darauf, dass die Belastung bei letzteren doch höher sein muss. 

Neben diesen Faktoren bietet die tiefe Kniebeuge weitere positive Faktoren:

a) im Gegensatz zu den "Winkel-Varianten" liefert die tiefe Kniebeuge einen Übertrag in die jeweilige Sportart

b) die Kniebeuge ist funktioneller, z.B. sind die tieferen Schichten der Gesäßsmuskulatur (Glute med., Glute min., ...) nicht nur Hüftaußenrotatoren, sondern auch Abduktoren, jedoch kommt diese Funktion in der Kniebeuge erst unter 90° zum Tragen

c) die ganze Muskelkette wird trainiert, d.h. insbesondere für quadrizpes-dominante Sportarten wie Fussball, Badminton, Eishockey, ... wird die Rückseite entsprechend mehr trainiert

d) die tiefe Kniebeuge in Umsetz- ("vorne") oder Reißposition ("oben") ist einer der besten Bauchübungen, weil maximale Anspannung im Rumpf gefordert ist

e) die tiefe Kniebeuge ("Fersensitz") stellt ebenso eine gute Mobilisationsübung dar, da eine entsprechende Beweglichkeit erforderlich ist und im Training der Kniebeuge dann erhalten wird

Jetzt ist es fast etwas mehr geworden als ein reiner "Studie der Woche - Tipp" - wer tiefer in das Thema eintauchen will (neben der Quelle unten) und entsprechend die Kniebeuge in das Trainingsprogramm nehmen möchte, dem seien die folgenden Bücher empfohlen:

 Krafttraining im Leistungssport: Theoretische und praktsische Grundlagen für den Trainer

Kinder lernen Krafttraining (von Martin Zawieja)

Leistungsreserve Hanteltraining: Handbuch des Gewichtshebens für alle Sportarten

Funktionelles Krafttraining im Badminton (als E-Book sofort kaufen und downloadbar)

Quelle:

Hartmann, H., Wirth, K. & Klusemann, M. (2013) Analysis of the Load on the Knee Joint and Vertebral Column with Changes in Squatting Depth and Weight Load. Journal of Sports Medicine, 43, pp. 993-1008.

 

 
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Über den Autor: 

Diemo Ruhnow, 33 Jahre, zurzeit beim Deutschen Badminton Verband als Bundestrainer für das Damenteam (Doppel/Mixed, Athletik & Konditionstraining) tätig. 

Neben Hauptstudien an der Trainerakademie Köln zum Diplom-Trainer sowie Studiengang Diplom-Mathematik Universität Hamburg diverse weitere Trainerausbildungen (u.a. Fitness-Trainer, Reha-Coach, Ernährungscoach, Workinstructor).

 

 

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